„Mit Liebe gemacht“ – Zwölf Lesetipps
All You Need Is Love
„Kompliziert“ und „harte Arbeit“, sagen die einen. „Ein seltsames Spiel“, heißt es woanders. Sie liegt in der Luft, kommt von innen, strahlt heller als der Sonnenschein; öffnet Türen, führt durch den Magen, verleiht Flügel. Sie knistert und prickelt. Sie macht schön und hält jung. Sie ist die beste Medizin. Sie hat etwas mit Schmetterlingen zu tun, ist offenbar rot oder rosa und kann sowohl das Herz brechen als auch Wunden heilen. Jeder hatte schon einmal mit ihr zu tun. Und das vielleicht größte Paradox: Niemand ist vor ihr sicher – aber alle suchen sie.
Die Liebe.
Die sog. Liebe, die ja, daran zumindest besteht kein Zweifel, nur ein allseits bekanntes Gefühl ist – dem man einen Namen gegeben hat. Eigentlich ein absurdes Unterfangen, denn wo bitte fängt die „Liebe“ an, und wo hört sie auf …?! Und empfindet nicht jeder anders?! Sprache ist nützlich, um Bedeutungen zuzuweisen, die wiederum Kommunikation ermöglichen. Aber genau darin liegt auch ihre Limitation. Denn zwangsläufig muss sie einschränken, was eigentlich grenzenlos ist. Dass wir infolgedessen ein sehr wahrscheinlich völlig verzerrtes Bild von unserer Realität haben, nehmen wir unhinterfragt in Kauf.
Und so ist die Liebe also, per linguistischem Beschluss – na, dieses Gefühl halt. Liebe eben! Ganz klar Liebe! Einfach … Liebe?!
Noch mal: Liebe ist …
Also, die Liebe …
Tja …
Gleichermaßen ratlos und dennoch ganz sicher sind seit jeher die Freigeister der Welt, die aus Liebe, mit Liebe und wegen der Liebe die wundervollsten Kunstwerke, Musikstücke und Literatur erschaffen. Sehr viele davon auch über die Liebe. Oder vielleicht liegt ja die Liebe in Wirklichkeit jeder kreativen Form zugrunde, sozusagen im Kern. Denn, wie bereits gesagt: Wo fängt die Liebe an, und wo hört sie auf …?
Die zwölf Bücher, die ich im Folgenden für Sie, liebe Leserin, verehrter Leser, ausgewählt habe, verstehen sich nicht als ausgewiesene Liebesromane. Vielmehr nähern sie sich behutsam diesem rätselhaften Etwas auf der Suche nach Erklärungen, Verständnis, vielleicht sogar Lösungen. Sie schöpfen aus, was Sprache erreichen kann. Den Unterhaltungswert nehmen wir auch gern mit; das Gefühl selbst, wie wir wissen, liegt hingegen jenseits von Worten.
Die Qual der Wahl: „Der Papierpalast“ von Miranda Cowley Heller. Titelnummer 55340
Eine Frau muss sich zwischen zwei Männern entscheiden. Der eine ist ihr Ehemann, mit dem sie mehrere Kinder hat. Der andere ist ihre Jugendliebe, wie sie gebunden, aber ohne je seine Avancen eingestellt zu haben. Sie liebt ihren Mann über alles, möchte ihn gar nicht verlassen, hängt an der Familie, die sie aufgebaut haben. Aber da ist auch die Verlockung des Verbotenen, ebenfalls Liebe, dennoch ein völlig anderes Gefühl … Pragmatismus kollidiert mit Romantik – das ruft zustimmendes Kopfnicken und gequältes Seufzen bei der Leserin hervor. Ein Buch vornehmlich für Frauen, frei von Kitsch, süffig, sexy.
Ist das jetzt Liebe? „Gespräche mit Freunden“ von Sally Rooney. Titelnummer 50954
Die Romane der Irin Sally Rooney, Jahrgang 1991, sind ein Phänomen: Man kann sie nicht aus der Hand legen, aber genauso wenig kann man hinterher sagen, worum es eigentlich ging. Die Protagonisten sind allesamt junge Menschen, die ihren Platz in der Welt, im gesellschaftspolitischen Strom und untereinander suchen. Sie unterhalten sich, sie telefonieren; Jahre vergehen, sie treffen sich, immer noch unterhalten sie sich. Die Liebe ist das große Rätsel, das sie besprechen und erkunden; alles könnte einfach sein, bleibt aber konsequent kompliziert.
Im gleichen Stil und ebenfalls exzellent: „Normal People“, Titelnummer 56375; es ist ein Hörbuch in englischer Sprache verfügbar.
Der Sinn des Lebens: „Erschütterung“ von Percival Everett. Titelnummer 56156
Seine Ehe? Eine Zweckgemeinschaft. Seine Arbeit? Routine. Gesellschaftliches Engagement? Nicht sein Ding. Eigentlich gibt es nur zwei bedeutsame Eckpfeiler in seinem Leben: die Paläontologie und seine kleine Tochter. Die aufgeweckte Zwölfjährige ist sein Augenstern, sie spielen zusammen Schach, er liebt sie über alles. Dann erkrankt sie auf einmal schwer. Es gibt keine Aussicht auf Heilung. Dem erschütterten Vater zieht es den Boden unter den Füßen weg.
Ein bedrückendes Szenario, das durch die Ich-Perspektive noch auswegloser wirkt. Wie es dem Autor gelingt, diesem Mann in Zeiten größter Verzweiflung einen alternativen Sinn aufzuzeigen, ist große Kunst und überraschend tröstlich. Eine anspruchsvolle Lektüre.
Wenn die Liebe allein nicht reicht: „Überfluss“ von Jakob Guanzon. Titelnummer 55891
Der junge Vater möchte einfach nur alles richtig machen für seinen kleinen Sohn, den er über alles liebt. Aber es geht nicht. Die Umstände sind so widrig, dass er gar nicht anders kann, als immer die falsche Entscheidung zu treffen. – Eine bittere Geschichte über den Teufelskreis der Armut; darüber, dass jede gute Absicht ins Ausweglose führen muss, wenn es an Bildung, Rückhalt und Perspektiven mangelt – und über die Rolle der Liebe im Zeichen sozialen Elends.
Warum schlägst du mich…?! „Hast du uns endlich gefunden“ von Edgar Selge. Titelnummer 53560
„Mensch, Edgar, sag, was los ist! Meine Liebe zu meinem Vater. Das ist es, was los ist. Ich will nicht zugeben, von jemandem geschlagen zu werden, den ich liebe. Und noch weniger will ich zugeben, dass seine Schläge meine Liebe nicht ausgelöscht haben. Ich will nicht einer sein, der den liebt, der ihn schlägt.“ (Kapitel ABWASCH)
Grandios.
Hat er eine andere…? „Eifersucht“ von Catherine Millet. Titelnummer 15669
Eifersucht, so heißt es gemeinhin, ist das gesteigerte Bewusstsein für etwas, das man für sich möchte, von dem man aber annimmt, dass man es nicht bekommen kann, oder wenn, dass es nicht Bestand haben wird. Mit anderen Worten: Du glaubst, dass andere das leben, was du dir wünschst. – Da ist er wieder: der so wortreiche wie aussichtslose Versuch, ein Gefühl zu erklären, das jeder kennt und erkennt. Die französische Schriftstellerin Catherine Millet widmet diesem Unterfangen sogar 224 Seiten. Sie beobachtet sich selbst, analysiert Reaktionen von Geist und Körper, testet Romantik gegen Sex – alles unter der relativierenden Prämisse, dass nicht nur ihr Mann fremdgeht, sondern auch sie selbst …
Vom Scheitern: „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ von Julia Schoch. Titelnummer 56501
Diese Frau hat ein anderes Problem: Sie möchte sich von ihrem Mann trennen. Nicht, weil er eine andere hätte, sondern weil sie glaubt, keine Liebe mehr für ihn zu empfinden. Das stört sie. Eigentlich möchte sie ihn lieben, möchte nicht akzeptieren, dass eine Liebe, die so viele Jahrzehnte angedauert hat, einfach versiegen kann. Während sie auf den richtigen Zeitpunkt wartet, ihn zu verlassen, versucht sie sich schreibend an einer Rekonstruktion ihrer Beziehung. Bis zu dem Punkt, an dem sich schließlich beide Vorhaben kreuzen …
Sehr ehrlich und klar: ein Roman, den man aufsaugt, weil einem all das bekannt ist.
Vom Schmerz: „Sturmhöhe“ von Emily Brontë. Titelnummer 350
Ach, noch einmal 19 sein und „Sturmhöhe“ lesen … Oh, Heathcliff! Dein wildes Temperament, deine düstere Leidenschaft; deine gekränkte Liebe, dein Leid, dein Hass … Als junger Mensch nahm man deine Raserei doch eher eingeschüchtert als abgeschreckt zur Kenntnis. Das ganze Leben ein einziger Rachefeldzug …?! Befremdet fragte man sich: Echt jetzt? So geht Liebe …??
Zumindest geht sie nicht ohne Drama – soviel ist auch im 21. Jahrhundert noch sicher.
Marmor, Stein und Eisen bricht: „In guten wie in schlechten Tagen“ von Tayari Jones. Titelnummer 52200
Es ist die eine, die wahre Liebe. Alles ist angerichtet für ein Leben in Zweisamkeit, eine vertrauensvolle Ehe, große Gefühle – und dann zeigt sich, dass das Leben andere Pläne hatte: Kaum verheiratet wird das Paar schon wieder auseinandergerissen. Im Raum stehen zwölf Jahre Gefängnis. Ein Justizirrtum zwar, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass jede junge Liebe angesichts einer so langen Zeit in Trennung auf eine harte Probe gestellt würde …
Wahre Liebe wartet? Von wegen …
Wo die Liebe hin fällt – und wo nicht: „Der Verdacht“ von Ashley Audrain. Titelnummer 56763
Mutterliebe wird sich schon ganz von selbst einstellen, hofft eine junge Frau, und ihr Mann ist sich sowieso sicher. Aber das Neugeborene in ihren Armen ist ihr seltsam fremd – und bleibt es auch. Umgekehrt wird auch das kleine Mädchen nicht mit ihr warm, ja, es scheint seine Mutter geradezu abzulehnen. Mit den Jahren wächst bei dieser das Gefühl, dass ihre Tochter die Eltern gezielt gegeneinander aufhetzt. Und Schlimmeres. Hat sie das andere Kind auf dem Spielplatz böswillig vom Klettergerüst gestoßen …?
Die Liebe hat es schwer in diesem Buch, dank einer packenden Wandlung vom Familienroman zum Psychothriller ist es aber eine klare Leseempfehlung.
Nature Writing: „Wo die Wölfe sind“ von Charlotte McConaghy. Titelnummer 54514
Wer wohl wen liebt, nicht liebt, nicht mehr liebt oder lieben möchte, ist in diesem Titel nebensächlich. Hier geht es um Wölfe – in Wirklichkeit und symbolisch für die universale Liebe als das einzige operative Prinzip allen Lebens. Teils Schicksalsgeschichte, teils dystopischer Ökothriller, mangelt es diesem klug komponierten Roman nicht an Spannungselementen. Die Botschaft, indes, geht tiefer …
Archaisch, einfühlsam, liebevoll.
„Jedes noch so kleine Ding auf dieser Welt will geliebt werden.“ „Die Bienenhüterin“ von Sue Monk Kidd. Titelnummer 32733
Es gibt sie, diese mächtige Liebe, die aus dem Inneren strahlt, keine Bedingungen stellt, einfach nur sein kann. Sie ist weder romantisch, noch hat sie ein Gegenteil. Sie ist selten. Aber man erkennt sie, wenn man ihr begegnet.
Wenn Sie aus diesem Newsletter nur einen einzigen Titel über die Liebe lesen wollten, dann sollte es dieser hier sein.