antiCoerper, Tag 13: Hamburg
Liebes antiCoerper-Publikum,
wie leicht es sein kann, anderen Menschen zu helfen und ihnen einen Teil ihrer Last abzunehmen, zeigt die folgende Meldung aus Hamburg.
„Sprechstunde untertage – Dieser Mann ist ganz Ohr“
Zeit zum Zuhören – das bietet der Hamburger Christoph Busch. Anfang 2018 hat sich der freiberufliche Drehbuchautor mit Gardinen, Fotografien an den Wänden, einer Kaffeemaschine und Heizlüftern in einem ehemaligen U-Bahn-Kiosk eingrichtet.
An dem nur wenige Quadratmeter großen Glaskasten an der Station Emilienstraße kleben Zettel mit den Worten: “Ich höre Ihnen zu. Jetzt gleich. Oder ein anderes Mal”. Und: “Kostenlos”. Wenn die rote Fahne draußen hängt, ist der Erzählkiosk besetzt.
Christoph Busch (71) ist “Das Ohr”. Eigentlich ist er Drehbuchautor, eigentlich wollte er „hier Geschichten sammeln, um sie aufzuschreiben. Aber die Menschen kamen nicht, um Geschichten zu erzählen, sondern ganze Leben“, beschreibt Busch seine Anfänge. „Unsere Gäste nutzten die Anonymität, um auszusprechen, was sie sonst nicht erzählen können. Weil sie niemanden haben, dem sie vertrauen, oder weil sie fürchten, es könne gegen sie verwendet werden.“
Was ihm erzählt wird, bleibt geheim. Oft seien es schwere Geschichten, die mit einer unglücklichen Kindheit beginnen, sagt er. „Es gibt aber auch schöne Geschichten: Einmal kam einer, der mir erzählt hat, wie toll es ihm jetzt gehe. Er habe früher kein gutes Leben gehabt, doch kürzlich im Lotto gewonnen, einen neuen Beruf angefangen und dann im Internet auch noch die Frau seines Lebens gefunden!“
Zum Schreiben kommt der Autor inzwischen kaum noch, denn viel mehr Menschen als gedacht suchen das oft auch lange Gespräch mit ihm. So musste er irgendwann eine Uhr anschaffen und die Dauer auf maximal 1 Stunde begrenzen. Heute, zwei Jahre nach der Eröffnung, vergibt er auch feste Termine per Telefon oder Email, weil sich Gespräche oft über zwei oder drei Stunden hinziehen. Der erste Kontakt findet meist über den Schalter des Kiosk statt.
Für rund 300 Euro hatte Busch den Kiosk zunächst für sechs Monate gemietet – und dann verlängert. Inzwischen ist er zu einer Institution geworden und wird von einem ganzen Team aus ehrenamtlichen Zuhörerinnen und Zuhörern betrieben. Einnahmen gibt es keine. Aber: „Ich bin mein ganzes Leben noch nie so viel gelobt worden“, freut sich Busch. Und: „Wenn die Leute nichts dagegen haben, schreibe ich ihre Erzählungen auf. Vielleicht veröffentliche ich tatsächlich irgendwann ein Buch.“ Aber eigentlich will er sich nicht so wichtig nehmen. Er versteht sich auch nicht als Therapeut, sondern als Freund. Als „fremder Freund, den man nicht wiedersehen muss.“
Der Zuhör-Kiosk steht auf dem Bahnsteig der U-Bahn-Station Emilienstraße in Hamburg und hat Montag bis Freitag von 12-18 Uhr geöffnet. Die Telefonnummer und E-Mail-Adresse sind zu finden auf der Website zuhoer-kiosk.de.
Quelle: welt.de (u. a.)
Hörbuchtipp: Isabel Vincent: Dinner mit Edward. Die Geschichte einer unerwarteten Freundschaft. Titelnummer: 47989
Schi