Gegenmittel – Ein Newsletter
Liebe Lesegemeinde,
Frust entsteht im Kopf, heißt es, und man könne sich viel Ärger ersparen, wenn man die Dinge akzeptiert, wie sie sind, also abzüglich unserer mentalen Geschichte dazu. Ein sicherlich kluger Rat, aber mit dieser bedingungslosen Akzeptanz ist das so eine Sache. Die Krux dahinter: Wir nehmen das, was uns passiert, grundsätzlich persönlich. Bevor wir überhaupt nur in die Nähe kommen zu akzeptieren, dass sich gerade jemand dreist an der Kasse vorgedrängt hat, sind wir auch schon in die Luft gegangen.
Da hilft dann nur noch: Frustbewältigung. Ein Gegenmittel muss her. Und so habe ich mich einmal in einige der häufigsten Gelegenheiten begeben, die nach einem Trostpflaster verlangen, rein imaginativ natürlich. Versteht sich von selbst, dass ich uns allen möglichst wenige Gelegenheiten dieser Art wünsche – auch wenn sie, so meine Hoffnung, zum Aufgreifen eines Lesetipps führen.
Wutanfälle
Die Traditionelle Chinesische Medizin ordnet unseren inneren Organen bestimmte Emotionen zu. Wer zum Beispiel viel grübelt und sich sorgt, setzt seine Milz einer Dauerbelastung aus. Müdigkeit und Gewichtszunahme können die Folgen sein. Trauer beeinträchtigt die Lunge, Angst schwächt die Nieren. Und wenn Sie einen Wutanfall bekommen, erschrecken Sie Ihre Leber! Grund genug, sich beim nächsten Mal zeitig zusammenzureißen. Wem das nicht aus dem Stand gelingt, dem sei zumindest folgendes Beruhigungsmittel ans Herz gelegt. Eckart von Hirschhausen: Die Leber wächst mit ihren Aufgaben. Komisches aus der Medizin. Titelnummer: 1189
Stress
Der Klassiker. Die nicht weniger klassische Empfehlung dagegen ist natürlich, ein Buch zu lesen – denn beim Lesen kommt man bekanntlich zur Ruhe. Aber nicht jedes ist geeignet. Mit dem unpassenden Titel schaffen Sie keine fünf Seiten, bevor der Stresspegel wieder ansteigt, weil Sie sich über diese Zeitverschwendung aufregen. Der Ausweg: „Das geheime Leben der Bäume“ von Peter Wohlleben. Noch wirkungsvoller, wenn Sie dieses Buch auf einer Parkbank sitzend genießen können. Titelnummer: 35037
Schlaflosigkeit
Nicht einschlafen zu können – das nervt. Was kann man tun?! Meine Generation schwört ja auf die einlullende Wirkung antiker Drei-Fragezeichen-Hörspiele, für die wir unseren Kopf nicht mehr brauchen. Andere Verzweifelte erstellen eine Video-Playlist mit Schwarz-Weiß-Filmen aus den 20er Jahren, und ganz Fortgeschrittene geben sich Alpha-Wellen über Kopfhörer. Und Sie? Als Hörbuch-Konsument sind Sie in der glücklichen Lage, sich eine Erzählstimme mit Einschläferungspotenzial aussuchen zu können. In diesem Sinne, und sie möge es mir verzeihen, habe ich mich für folgende Empfehlung entschieden: Ria Dietz-Rödiger liest: Hannas schlafende Hunde von Elisabeth Escher. Titelnummer 42916. Zusätzlich könnten Sie die Abspielgeschwindigkeit Ihres Players reduzieren …
Wechseljahre und Midlife-Crisis
Das Gegenmittel, das Sie sich hier als Frau wünschen, wird sehr wahrscheinlich in erster Linie auf Hitzewallungen abzielen. Was Männer in ihrer heiklen Lebensphase brauchen, wage ich, mangels eigener Erfahrung, gar nicht zu ermessen. Ich führe die sog. Midlife-Crisis auch eigentlich nur deshalb hier auf, weil es zwei witzige kleine Bücher gibt, die sich mit genau diesen Bedürfnissen befassen:
Maxim Leo und Jochen Gutsch: Es ist nur eine Phase, Hase. Ein Trostbuch für Alterspubertierende. Titelnummer 46529, auch verfilmt und gerade im Kino zu sehen; sowie von demselben Duo: Du bist mein Sieger, Tiger. Noch mehr Trost für Alterspubertierende. Titelnummer: 51080.
Frauen haben in ihren Wechseljahren üblicherweise weniger zu lachen, entsprechend seriöser kommt der Lesetipp daher; tatsächlich handelt es sich um eine Autorin, die ich jeder Frau kennenzulernen empfehle: Christiane Northrup: Frauen-Körper, Frauen-Weisheit. Titelnummer: 36797
Kater
Dagegen können Sie zweierlei tun.
1. (sobald Sie dann wieder aufnahmefähig sind): Bereiten Sie sich eine „Langschläfer-Pasta mit Wodkasoße“ zu, nach einem Rezept aus der pfiffigen SPIEGEL-Kolumne „Kochen ohne Kohle“
2. (im Hinblick auf das nächste Mal): Versuchen Sie, sich auf diese Lektüre zu konzentrieren: Kingsley Amis: Anständig trinken. Titelnummer: 39677
Fernweh
„Reisen ist die Sehnsucht nach dem Leben“, behauptete einst Kurt Tucholsky – und übersah dabei, wie so viele andere auch, dass die ganze Herrlichkeit des Lebens immer jetzt und hier stattfindet, nicht später und nicht woanders. Sich auf diese spirituelle Einsicht einzulassen, erfordert Bereitschaft und Training, kuriert aber auf lange Sicht jedes Fernweh.
Thich Nhat Hanh: Alles, was du tun kannst für dein Glück. Übungen für Körper, Seele und Geist. Titelnummer: 49235
Langeweile
In dem Science-Fiction-Spielfilm „Passengers“ kommt es auf einer Raumfähre zu einer technischen Fehlfunktion, infolgedessen sich außerplanmäßig die Hyperschlaf-Kapsel eines Passagiers öffnet. Der Pechvogel findet heraus, dass er nicht nur 90 Jahre zu früh geweckt wurde, sondern dass er zudem noch dazu das einzige wache Lebewesen an Bord ist …! – Nun versetze man sich einmal in diese missliche Lage: DAS bedeutet Langeweile. Gemessen daran ist diese leichte Irritation, von der wir hin und wieder kurzzeitig mal einen Anflug verspüren, der reine Luxus. Mit meinem Lesetipp bleibe ich aber im Genre, denn die meisten SF-Werke sind derart umfangreich, dass man die nächste Langeweile über ganze Wochen vor sich her schiebt:
Neal Stephenson: Amalthea. Spieldauer: ca. 40,5 Stunden. Titelnummer: 41124
Auch auf Englisch unter dem Originaltitel „Seveneves“ verfügbar, Titelnummer hier: 51820 (derzeit noch kein Download möglich).
Regen
Mein ganz persönliches rotes Tuch. Die geografische Lage Münchens tut ein übriges, meinen Unmut in schöner Regelmäßigkeit zu befeuern. Sie finden auch, dass es bei Ihnen definitiv pausenlos und viel zu viel regnet?! Dann folgen Sie meinem guten Vorsatz und lesen Sie einmal Gabriel García Márquez´ „Hundert Jahre Einsamkeit“. Darin regnet es vier Jahre, elf Monate und zwei Tage – wohlgemerkt am Stück. Mit etwas gutem Willen wird Ihnen das die nötige Gelassenheit geben, wenn Sie das nächste Mal wieder mit Schirm aus dem Haus gehen. Titelnummer: 13002
ANGST
Spaß beiseite: Angst ist ernst. Jeder hat Angst, die Auslöser sind vielfältig, und das einhergehende Gefühl reicht von einem unspezifischen Unwohlsein bis hin zu ausgeprägter Panik. Laut dem Psychoanalytiker Fritz Riemann unterscheidet man vier Angsttypen; welche das genau sind, können Sie in seinem hochinteressanten Werk „Grundformen der Angst“ nachlesen (Titelnummer: 37609. Aber auch ohne diese persönliche Kategorisierung besteht die Chance, dass Sie in meiner nachfolgenden – nicht vollständigen – Liste von Angstauslösern ein Gegenmittel finden.
Angst vor Viren
Aus gegebenem Anlass. Aber oft dämpft es die Angst, wenn man sich ein Grundwissen aneignet, mit dem sich die physiologischen Vorgänge besser nachvollziehen lassen:
Idan Ben-Barak: Warum sind wir eigentlich noch nicht tot? Alles über unser Immunsystem. Titelnummer: 41643
Angst vor Spinnen
Bevor ich mich hier im Detail verliere und ins Gruseln gerate, komme ich am besten gleich zu meinem Buchtipp, mit dem Sie Ihre Spinnen- und erweiterte Krabbeltier-Phobie wegschmunzeln können:
Amy Stewart: Gemeines Getier. Das A bis Z der Insekten, die beißen, stechen, infizieren und uns den letzten Nerv rauben. Titelnummer: 34916
Angst vor dem Weltuntergang
Die stetig wachsende Anzahl von Endzeit-Thrillern, die die Menschheit entweder auf dem Mars ansiedeln, zu Zombies mutieren lassen oder von Maschinen ersetzen, taugt naturgemäß nicht als Mittel gegen diese besondere Angstform. Man halte sich an Autoren, die es mit Humor nehmen, was sowieso immer eine gute Idee ist:
Hannes Stein: Nach uns die Pinguine. Ein Weltuntergangskrimi. Titelnummer: 44977
Höhenangst
Zugegeben, wenn Sie an einem Abgrund stehen und mit dem Phänomen der Höhenangst Bekanntschaft machen, werden Sie nicht als Erstes zu einem Buch greifen. Aber irgendwann danach werden Sie wieder sitzen, durchatmen und einen Cognac auf Ihre Nerven trinken. Und sobald Ihre Hände nicht mehr zittern, könnten Sie dieses Hörbuch in Ihren Daisyplayer einlegen:
Jörg Maurer: Niedertracht. Alpenkrimi. Titelnummer: 18919
Angst vor Armut, Einsamkeit, Umweltkatastrophen, Terror, Krieg und Tod
Lesen Sie (noch mal):
Astrid Lindgren: Die Brüder Löwenherz. Titelnummer: 13210
Und Sie werden nie wieder Angst haben!
Ungeduld
Wer bis hierhin aufmerksam mitgelesen hat, benötigt vermutlich auch im Besonderen kein Mittel gegen Ungeduld. Allenfalls könnte eine vorbeugende Maßnahme angebracht sein, etwa im Hinblick auf die Zeitspanne bis zum nächsten Newsletter:
Friederike Gräff: Warten. Erkundungen eines ungeliebten Zustands. Titelnummer: 29832.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Gewisse Frustauslöser hingegen waren geplant, mussten aber wieder weichen. In einer früheren Fassung hatte ich zum Beispiel noch die Absicht, je ein Mittel gegen Liebeskummer und kalte Füße ausfindig zu machen. Ersteres wurde schweren Herzens gelöscht, denn, mal ehrlich: Romane machen alles nur noch schlimmer. Und was die kalten Füße betrifft – ein Anliegen von exorbitanter Wichtigkeit, zumindest für uns Mädels: keine Chance. Da hilft nichts. Schon gar kein Buch.
Mit einem Augenzwinkern, Dank fürs Lesen und herzlichen Grüßen
Ihre Sonja Schikowski
Bayerische Hörbücherei, Oktober 2021