antiCoerper, Tag 11: München

Grüß Gott miteinander! Herzlich willkommen zurück zu unserer antiCoerper-Serie, in der ich für uns gute Nachrichten aller Art zusammentrage.

Am Samstag war ich in meinem türkischen Lebensmittelmarkt einkaufen. Ein vollgepackter Laden, in dem die Sicherheitsmaßnahmen allein darin bestehen, dass die Kunden ihren gesunden Menschenverstand benutzen: Auch ohne Gesichtsmasken, Markierungen auf dem Boden und Aufsicht führendes Personal bewegt sich jeder mit unaufgeregter Vorsicht durch die engen Gänge. Das entspannt. Wer noch lächeln kann, weiß von allein, dass ein großzügiger Abstand zum Nebenmann gerade sinnvoll ist …

Am Ausgang dann ein strahlendes Gesicht: meine Lieblingskassiererin N.! Von ihr möchte ich erzählen, denn sie ist meine persönliche Heldin, und was sie erlebt hat, verdient es, zur besten Nachricht des Tages ernannt zu werden!

N. ist eine Powerfrau. Ende 20, groß, kräftig, mit einem eleganten Gesicht und schönen Augen. Seit ich sie kenne, also seit ungefähr sechs Jahren, regiert sie im Kassenbereich dieses Ladens: mit lauter Stimme, ausladenen Gesten, viel Übersicht und großer Herzlichkeit. Sie hat eine angenehm trockene Art, ist freundlich zu den Kunden, lässt sich aber auch nicht die Butter vom Brot nehmen; man würde mehrere Jahrzehnte Erfahrung im Umgang mit Menschen vermuten, dabei ist sie doch eine junge Frau. Hin und wieder endeckt man auch noch das Mädchen in ihr …

In all den Jahren habe ich sie so gut wie immer fröhlich erlebt. Diese Frau bedient täglich hunderte von Kunden, aber immer, wenn ich abends nach der Arbeit mein Gemüse vor sie lege, überrascht sie mich mit einer frischen Bemerkung. Allein das ringt mir immer wieder Respekt ab; ich habe selbst viele Jahre im Einzelhandel gearbeitet und am Ende eines langen Tages oft nicht mehr die Energie für einen lockeren Plausch gefunden. N. hingegen scheint einen unerschöpflichen Vorrat an Optimismus in sich zu haben – was umso erstaunlicher ist, wenn man um ihren Gesundheitszustand weiß.

Letztes Jahr im Oktober fehlte sie länger. Als ich sie nach mehreren Wochen zufällig traf, erzählte sie mir ihre Geschichte: Sie leidet seit Jahren an unerträglichen Rückenschmerzen. Aufgrund einer Fehlstellung der Wirbelsäule kippt ihr Lendenbereich so stark ins Hohlkreuz, dass die dortigen Muskelgruppen nicht richtig arbeiten können. Folglich drückt alles Oberkörpergewicht auf die Nerven und verursacht Zysten und Ödeme in den Knochen. Ohne starke Schmerzmittel könne sie nicht sitzen und keinen Schritt gehen, und das seit vielen Jahren. Sie habe bereits mehrere Operationen hinter sich, immer wieder voller Hoffnung, immer wieder ohne Erfolg.

Das alles erzählte sie mit völlig entspanntem Gesicht. Sie wartete gerade auf die nächste Operation, bei der ihr winzige Batterien in die inaktiven Muskeln eingesetzt werden sollten. Man erhoffte sich mittels Stromstoß einen Impuls, der die Muskeln zu Kontraktionen veranlassen würde, ähnlich einem Herzschrittmacher. „Wenn auch das nichts bringt, warte ich eben auf die nächste Idee meiner Ärzte“, meinte sie leichthin. Mir wurde klar, dass ich über all die Jahre eine Frau an der Kasse erlebt hatte, die unter ständigen Schmerzen litt und dennoch fröhlich ihrer Arbeit nachging. Ich sagte ihr, dass ich sie für ihre Zuversicht bewundere. „Es bringt mich nirgendwohin, wenn ich mich hängen lasse“, erwiderte N. „Ich könnte seit der Pubertät mit meinem Schicksal hadern und Frust schieben und jeden Tag einfach im Bett bleiben. Aber was hätte ich dann alles verpasst?! Warum gerade ich, könnte ich mich fragen, aber das ist eine sinnlose Frage, die nur Energie kostet. Diese Energie würde mir dann für meine Lebensfreude fehlen.“ Die Dinge seien nun einmal so, wie sie sind, und es läge an ihr, das Beste daraus zu machen.

Nun am Samstag, nach vielen Monaten Reha, saß N. also wieder an ihrem Platz an der Kasse. Und sie strahlte. Dieses Mal hätte die Operation zum Erfolg geführt: Sie sei schmerzfrei! Es müssten sich zwar noch Zysten zurückbilden, aber die Batterien täten ihren Dienst, und die Muskeln sprächen darauf an. Ich sagte, dass ich schon das Schlimmste befürchtet hätte, weil ich sie so lange nicht gesehen hatte. N. lachte: „Dann hätte ich meinen Arzt verklagt.“

Ich bewundere Menschen, die allen widrigen Umständen zum Trotz immer wieder aufstehen und dabei aus ihrer inneren Zufriedenheit Kraft schöpfen – das sind die hellen Lichter, an denen wir uns in unserer eigenen Dunkelheit orientieren können.

Hörbuchtipp: Rosette Poletti und Barbara Dobbs: Akzeptieren, was ist. Loslassen und inneren Frieden finden. Titelnummer: 42827 

Schi